Wie unsere Soldaten Schießen lernen

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Rund 14.000 junge Männer und Frauen sind 2017 ins Bundesheer eingerückt. Viele haben dort zum ersten Mal in ihrem Leben eine Waffe in der Hand gehalten. Wie versucht das Bundesheer dafür zu sorgen, dass es zu keinen tödlichen Unfällen kommt? 

6. Juni 2018, im Gerichtssaal. Ein Rekrut sitzt auf der Anklagebank und stellt sich seinem Mordprozess.

7. Oktober 2017, in der Nacht. Der selbe Rekrut hat Wachdienst, betritt den Ruheraum mit einer Waffe. Er stolpert, der Finger ist am Abzug. Ein Schuss löst sich. Behauptet er. Die Kugel dringt in den Kopf eines schlafenden Kollegen ein.

Einen Fall wie diesen hätte es nie geben dürfen. War es ein Unfall oder war es Mord? Um Unfälle zu verhindern, sind beim Bundesheer Waffe und Munition eigentlich stets getrennt. Einzig bei Schießübungen und beim Wachdienst haben die SoldatInnen Waffen mit Munition. Doch beim Wachdienst kann sich nicht einfach so ein Schuss lösen, denn die Waffen sind halbgeladen. Das bedeutet, dass die Waffe vor dem Schießen erneut geladen werden muss. Dem angeklagten Rekruten sei das durch das Herunterfallen der Waffe passiert. Bevor eine Kugel aus der Mündung kommen kann, muss die Waffe noch entsichert werden. Das sei ihm beim Spielen mit der Sicherung passiert. Drei Gebote des Bundesheeres, die beim Hantieren mit der Waffe gelten, brach er dabei: „Nie den Lauf auf Personen richten“, „Waffe immer sichern“ und „Finger weg vom Abzug.“

Foto: By Bundesheer Fotos from Österreich (MG-Schütze) [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons, Änderungen (S/W Bearbeitung) vorgenommen

Die Sicherheitsvorschriften im Bezug auf Waffen sind streng beim Bundesheer. Bei Schießübungen bekommt der Soldat die Munition erst, wenn er mit dem Schießen an der Reihe ist. Danach muss die restliche Munition wieder abgegeben werden. Werden die Waffen nicht gebraucht, werden sie in Spinden aufbewahrt. Wenn niemand da ist, müssen Fenster und Türen verschlossen sein. Bei einem Feueralarm müssen die SoldatInnen in ihrer Kaserne die Waffen aus dem Spind nehmen, bevor sie sich in Sicherheit bringen, erzählt Alexander Winter*, Korporal beim Bundesheer: „Das Risiko, dass in den Trümmern funktionierende Waffen gefunden werden, will das Bundesheer nicht eingehen.“

Üben bis man nicht mehr nachdenken muss

Alexander stößt seine Schaufel in die Erde. Er gräbt Löcher, um sich zu verstecken. Plötzlich die Warnung aus dem Funkgerät: Ein Angreifer! 30 Meter sind es bis zur schützenden Alarmstellung. Alexander lässt die Schaufel fallen und rennt so schnell er kann. Ein Schuss hallt durch die Luft, ein Kamerad sinkt vor ihm zusammen, in der nächsten Sekunde fällt der Zweite. Ein letzter Schritt, dann wird auch Alexander getroffen. Wenig später rappelt er sich hoch. Gehallt haben nur Platzpatronen, getroffen nur ein Laserstrahl. Trotzdem ist ihm leicht schlecht. „Ich habe mir gedacht‚ scheiße, in einem echten Krieg wär’s das jetzt gewesen. Und ich hätte meinen Mörder nicht einmal gesehen.“ Alexander verbringt nach seiner Grundausbildung ein halbes Jahr beim Bundesheer. Übungen mit der Waffe ist er gewohnt, sie gehören zu seinem Alltag. Als er die ersten Male eine Waffe in den Händen gehalten hat, hatte er Herzklopfen. Seit der Drillphase hat er den Umgang mit der Waffe verinnerlicht. Ständig musste er die Abläufe wiederholen und zwischendurch Sport machen, um die Bedingungen bei Einsätzen nachzuempfinden. In solchen Situationen sollen SoldatInnen laut Oberleutnant Bernd Lichtenegger nicht mehr nachdenken müssen. Denn: „Wer schneller schießt und besser trifft, bleibt am Leben.“

Foto: By Bundesheer Fotos (Flickr) [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons, Änderungen (S/W Bearbeitung) vorgenommen

Die Drillphase ist die letzte Phase des Waffen- und Schießdienstes, den jeder Soldat in der Grundausbildung absolviert. Zu Beginn der Ausbildung setzen sich die RekrutInnen theoretisch mit der Waffe auseinander und lernen sie zu bedienen. In der Wiederholungsphase wird das Gelernte geübt, am Ende der Drillphase muss jede Bewegung mit der Waffe perfekt sitzen.

Aus Wald und Wiese in die Stadt

Momentan verlagert das Bundesheer viele Übungen in die Stadt. „Es ist bewiesen, dass an einem Ort, an dem viele Menschen leben, eher ein Konflikt ist, als in Allentsteig auf Wald und Wiese“, begründet das Major Norbert Lick. Weil sich die SoldatInnen in der Stadt anders als im Gelände bewegen müssen, üben sie verschiedene Verhaltensweisen mit der Waffe ein. Zum Einsatz kommen sie etwa bei der Bewachung von Gebäuden. Auch in Gebieten wie dem Kosovo, Bosnien, Libanon und Mali sind BerufsoldatInnen im Einsatz. Bei diesen „Peace-Keeping Operations“ sollen sie das stabile Umfeld, das geschaffen wurde, sichern. Was die Aufgaben in anderen Ländern sind, hängt von den Uno Resolutionen ab: Generell gilt aber für Österreichs Soldaten das Prinzip „Notwehr, Nothilfe“. Das bedeutet, dass sie ihre Waffe nur zur Selbstverteidigung oder zur Verteidigung anderer nutzen dürfen.

Von der Depression zur Untauglichkeit

An der Spitze des Heerespsychologischen Dienstes sitzt Christian Langer. In den Fällen, wo Prävention nicht greift und bei Notwehr und Nothilfe mit Waffengebrauch, betreut das Psychologen-Team Opfer, TäterInnen und Familienangehörige. Außerdem erstellen und werten sie die psychologischen Tests bei der Stellung aus. Hier werden primär Belastbarkeit, Anpassungsfähigkeit und kognitive Leistungsfähigkeit getestet. Diagnosen wie Depression oder Suchtverhalten in der Vergangenheit sind Gründe, um Rekruten für untauglich zu erklären. Auswahlverfahren durch psychologische Tests enden aber nicht bei der Stellung. Wer als BerufssoldatIn ins Ausland ausrücken will, wird strengen Belastungstests unterzogen.

Waffe als ständiger Begleiter

Thomas Kühnel hat sie alle schon bestanden. „Unter anderem gibt es den Bunkertest: BewerberInnen werden zwölf Stunden zusammen in einen Bunker gesperrt. Danach kommt noch der Schlafentzug. Hier wollen sie sehen, wie deine Leistung nach wenig oder keinem Schlaf abfällt.“ Zurzeit befindet er sich in seinem vierten Einsatz in Bosnien-Herzegowina. Zusammen mit der ungarischen und der türkischen Armee rückt er in einem „multinationalen Bataillon“ aus.

T. Kühnel salutiert bei einer offiziellen Zeremonie in Bosnien Herzegowina; Foto: By Bundesheer

Waffen haben sich für den 53-Jährigen schon zu Alltagsgegenständen verwandelt. Ist er im Dienst, führt er immer eine Waffe mit sich. „Ich arbeite in einem bewaffneten Non-Exekutiv-Mandat. Meine Waffe dient hauptsächlich zum Eigenschutz.“ Im Falle von Ausschreitungen bei Demonstrationen oder Aufständen führt seine Einheit Evakuierungen durch. Doch nicht jeder seiner KollegInnen hat so einen Bezug zu Waffen, wie der Unteroffizier. Je nach Grad und Position ist den SoldatInnen ein gewisser Zugang zu Waffen gewährleistet. Ausschlaggebend ist letztendlich aber die Bedrohungslage. „Im ruhigsten Stadium sind die Waffen in einem Schrank versperrt. Über den Schlüssel verfügt nur der jeweilige Waffenoffizier. Wird die Lage gefährlicher, verwahrt jeder sein Gewehr im eigenen Spind oder trägt die Waffe dann, wie ich, am Körper.“ Allgemein herrsche seiner Meinung nach genug Waffenschutz. Auch, dass es während Einsätzen vereinzelt zu Suiziden kommen kann, hängt für ihn nicht mit mangelnden Schutzmaßnahmen zusammen. „Wer wirklich Selbstmord begehen will, der macht’s auch.“

Suizid und Prävention

Dieser Meinung ist auch Heerespsychologe Langer: „Die Entscheidung, Selbstmord zu begehen, ist oft ein langer Prozess. Manchmal geht er über Jahre bis der Entschluss fällt. Ist eine Waffe verfügbar, liegt es nahe, die zu benutzten. Aber zu sagen jemand bringt sich um, weil er Zugang zu einer Waffe hat – dieser Umkehrschluss ist nicht zulässig.“ Suizid – das sagen sowohl Kühnel als auch Langer – kann durch das Selektionssystem nicht ausgeschlossen werden.

Damit es aber gar nicht erst zum Selbstmord kommt, stellt das Bundesheer ein Team von mehr als 50 PsychologInnen in Österreich bereit. Zusätzlich gibt es noch das sogenannte „Peersystem“. Das besteht aus 300 Ausgebildeten verschiedenster Grade, die KameradInnen bei Problemen als erste Anlaufstelle dienen sollen. Auch während Kühnel im Ausland dient, begleiten PsychologInnen oder zumindest MilitärseelsorgerInnen sein Kontingent. Nach und vor jedem Einsatz gibt es Gespräche mit PsychologInnen. Fachkräfte, denen laut Thomas Kühnel aber häufig der Bezug fehle: „Das sind oft relativ junge Leute, die gleich nach dem Studium anfangen, beim Heer zu arbeiten. Die aber eigentlich keine Ahnung haben von den Belastungen. Die noch nie bei einem Auslandseinsatz dabei waren.“

In den letzten Monaten beschäftigen sich auch Mitglieder des Heerespsychologischen Dienstes mit dem Fall des angeklagten Rekruten. Rein technisch, erklärt Kühnel, sehe er in diesem Fall keine Möglichkeit für einen Unfall. „Es wirkt so, als wäre die Waffe bewusst durchgeladen und abgefeuert worden. Für mich, jemanden, der immer an der Waffe ist, ist nicht nachvollziehbar, wie sich sonst so ein Schuss hätte lösen sollen.“

*Name von der Redaktion geändert

Titelbild: Demonstration of Bundesheer at Airpower11 (2011) by MatthiasKabel; CC BY 3.0 Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bundesheer_at_Airpower11_01.jpg, Änderungen (S/W Bearbeitung) vorgenommen

 

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