“Es war nur ein Bauchschuss.“

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Friedrich hat Banken überfallen, Waffen gestohlen – und 41 Jahre im Gefängnis verbracht. Eine Geschichte über den Mann hinter dem Lauf.

Friedrich nippt an seinem Kaffee. Er wartet in der Wohnung seiner Freundin, schon den ganzen Tag. Ein Schlüssel dreht sich im Schloss, mit einem leisen Klack öffnet sich die Tür. Friedrich steht auf, zückt seine geladene Nagant 762. Acan steht in der Wohnung. Er ist in die Falle getappt. Friedrich zielt auf Acans Bauch und drückt ab. Ein dumpfer Knall ertönt. Friedrich hat seine Nagant mit einem Schalldämpfer ausgestattet. Er kennt sich aus, weiß, wie er schießen muss. 

Die erste Waffe hält er mit sieben Jahren in der Hand, seine Tante hat ihn mit einer herumliegenden 635er auf ihrer Hafnerei spielen lassen. Später begeistert er sich für Schießstände. Mit zwölf beginnt er zusammen mit Freunden einzubrechen, überall “wo es geht”. Er stiehlt zuerst Fahrräder, dann Mopeds, später Autos. In der Schule fühlt er sich unterfordert, kommt deshalb häufig auf „blöde Ideen“. Mit 14 wird er erstmals wegen Waffenbesitzes verurteilt. Nach mehreren Schulwechseln kommt er in das berüchtigte Heim für „Schwererziehbare“ in Kaiser-Ebersdorf. In dem Heim, erinnert er sich, „wurden Kinder mit Schlägen zu Verbrechern erzogen“. So auch er. Er verbringt nur ein Jahr dort, wird dann als unerziehbar entlassen. Danach stiehlt er wieder, bricht in Waffenläden, Taxis oder Einfamilienhäuser ein. Er baut sich ein Netzwerk aus Komplizen und eine Sammlung an Waffen auf.                                      

Acan fällt zu Boden, hat keine Zeit mehr, zu seinen zwei Waffen zu greifen. Friedrich senkt seine Nagant, geht auf ihn zu. Er beugt sich über ihn und zischt: „Wer war noch dabei?“ Acan hat Angst. Er zögert nicht lange, die Namen sprudeln aus ihm heraus. Sadik, den Friedrich noch aus dem Gefängnis kennt, und zwei Komplizen. Friedrich ist zufrieden, richtet sich auf. Kurz darauf fällt die Tür ins Schloss. Acan bleibt zurück.

„Was ich früher werden wollte? Weiß ich nicht mehr. Wurde ja schon sehr früh kriminell… Ich hab‘ Friseur gelernt. Früher wollte ich ins Ausland gehen, mit einer Yacht, die in Thailand, auf Bali oder irgendwo anders stationiert ist. Ist eigentlich egal, du schipperst und wo es dir gefällt bleibst du länger und hast gleich ein Hotelzimmer dabei. Alles ist zollfrei, du kannst fischen und Waffen mitnehmen.“

Friedrichs Freundin wird die Rettung rufen, kurz darauf. Friedrich beschwichtigt; es sei nur ein Bauchschuss, nicht weiter schlimm. Ihr hat das Geld gehört, das Acan gestohlen hat. Sie will damit ein eigenes Café eröffnen, irgendwann. Jetzt arbeitet sie noch als Kellnerin in einem Lokal. Acan, ein Schwergewichtsboxer und Türsteher des Lokals, macht ihr Avancen. Friedrich empfiehlt ihr, sich auf Acan einzulassen. Um einen Liebhaber zu haben, der nicht von der Polizei wegen Raubüberfällen gesucht und dessen Telefonate nicht alle abgehört werden – Friedrich will sie da raushalten, so gut es geht.

„Ich hab‘ einmal einen Liegestuhl gestohlen, der Mann hat einen Zettel geschrieben, wo draufstand: Ich bin Pensionist und hab kein Geld, du tust mir weh, wenn du einen Liegestuhl stiehlst. Da bin ich dann woanders eingebrochen und hab ihm Liegestühle gebracht.“

Er verlässt die Wohnung seiner Freundin in der Kaiserstraße im 7. Bezirk und macht sich auf den Heimweg – in eine seiner zwei Wohnungen, die er mit geändertem Namen gemietet hat. Die Polizei kommt ihm nicht auf die Schliche, noch nicht. Er hat ihre Leitungen angezapft und hört ihre Gespräche mit. So kann er sich rechtzeitig auf die Flucht begeben, lebt als Schatten im Untergrund. Erst seit letztem Jahr ist er auf freiem Fuß, nach zwölf Jahren hinter Gittern. Ein Banküberfall hat ihn damals ins Gefängnis befördert.

Sein Leben in Freiheit wird nicht lange währen.

“Ich bin praktisch ein Häfenkind. Ich vergleiche das immer mit Pater Noster: Ich mache ein Jahr Urlaub, dann bin ich wieder im Häfen.”

Wenige Wochen darauf, am Geburtstag seiner Freundin, stürmen Polizisten seine Wohnung. Sie kommen zu zwölft, in der Küche liefern sie sich eine minutenlange Schießerei im Dunkeln. Sechsmal wird Friedrich von einer Maschinenpistole getroffen. Einmal im Fuß, einmal am Ellenbogen, viermal im Bauch. Als er im AKH aufwacht, fragt ihn der Arzt, ob er den Arm gestreckt oder angewinkelt haben will; ganz bewegen würde er ihn nie wieder können. Er entscheidet sich für angewinkelt.

Friedrich wird regelmäßig einvernommen. Er droht der Journalrichterin: “Wenn ihr mich hinausbringt aufs Sicherheitsbüro, bringe ich einen um, oder die bringen mich um.“ Fortan wird er nur noch im Landesgericht befragt.

Am Ausgang des Verfahrens ändert das wenig: Friedrich wird verurteilt, wandert für 28 Jahre hinter Gitter – wegen Bankraub. Die Schießerei mit Acan bleibt für ihn ohne Konsequenzen, die Richter gehen von Notwehr aus. Seine Strafe sitzt er zunächst in Graz ab, später wird er nach Niederösterreich versetzt.

Im Gefängnis beschäftigt er sich intensiv mit dem österreichischen Justizsystem, studiert seinen Akt und die seiner Mitinsassen. Er arbeitet als Schreiber und Koch, in Stein beginnt er in der anstaltseigenen Tischlerei. Bald macht er sich einen Namen als talentierter Billardspieler – eine Leidenschaft, die er schon in seiner Kindheit entdeckt hat und die ihn bis heute begleitet. Er organisiert eigene Billardtische für die übrigen Insassen und gründet einen Club.

Anfang 2012 wird er entlassen. “Am meisten hab ich mich auf die Natur gefreut, die fehlt einem im Gefängnis. Mir ist aber aufgefallen, dass es viel weniger Vögel gibt… Und ich bin am Anfang auf der falschen Seite in die U6 gestiegen, die haben sie in der Zwischenzeit von links auf rechts umgestellt. Früher war das noch die Stadtbahn…”

Friedrich ruft einen Verein ins Leben, der ehemaligen Häftlingen den Weg zurück in die Freiheit erleichtern soll. „Nichts ist leichter, als kriminell zu bleiben. Das kann jeder Trottel. Man muss lernen, mit dem Leben da draußen umzugehen.“

Zwischenzeitlich muss er wieder ins Gefängnis – diesmal wegen Kokainbesitz. Bereits nach sechs Wochen wird er aber entlassen. Jetzt will Friedrich noch ein paar Jahre in Ruhe leben, eine Yacht-Reise kann er sich gut vorstellen.

Ob er etwas bereut?

Friedrich wird nachdenklich. “Ich hab darüber oft diskutiert… Ich kenn einen Fall, da hat einer 900 Menschen umgebracht. Wie soll er sich da jeden merken, jede Persönlichkeit? Wie kann er Reue empfinden?”

Und Acan? “Versöhnt haben wir uns nicht, nein. Er war selber Schuld, Entschuldigung. War schließlich eine größere Summe. Und er war ein Boxer mit 140 kg, der wäre auf mich losgegangen. Da wären noch ein bis zwei Meter Abstand gewesen. Das hat er selbst ausgelöst.”

 

*Die Namen von Friedrichs Komplizen wurden von der Redaktion geändert.