Wenn man sich in Österreich mit Waffen beschäftigt, kommt man an der Firma Glock nicht vorbei. Mitschuss.at hat aus diesem Grund eine Reise nach Deutsch-Wagram unternommen – einen Ort, wo niemand an der Firma Glock vorbeikommt.
Schon vom Bahnhof in Deutsch-Wagram aus sieht man eine lange, graue Mauer, zu hoch, um darüber sehen zu können. Sie ist beschmiert, doch die Graffiti scheinen nichts damit zu tun zu haben, was dahinter passiert. Die Mauern grenzen das Areal der Firma Glock ab, einem der größten Schusswaffenproduzenten der Welt. 34.000 Pistolen pro Woche stellen die Werke in Deutsch-Wagram, Niederöstereich und Ferlach, Kärnten her. Auf jeder Waffe steht am Lauf eine Herkunftsgarantie: „Made in Austria.“
Hundert Meter weiter um die Ecke befindet sich der jüdische Friedhof der Stadtgemeinde. Ein Friedhof ohne Grabsteine, nur eine Gedenktafel ist zu sehen. Er ist verlassen und ungepflegt. Freiwillige wollten das am 1. Mai ändern, doch dazu kam es nicht. Auch der Friedhof ist von der hohen Glock-Mauer umgeben, er reißt eine längliche Lücke in das riesige Firmengebiet.
Gleich daneben ist einer von drei Eingängen zur Firma. Eine schmale, nicht asphaltierte Straße führt zwischen Friedhof und Mistplatz zu den Gebäuden der Firma.
Am Mistplatz staut es sich, Autos werden nur nach und nach hineingelassen. „Am Mittwoch kommt sie dann, die ganze Gesellschaft. Mit dem Hubschrauber. Acht Leute werden das sein. Mehr bekommst du von Glock nicht mit“, erzählt ein Mistplatz-Mitarbeiter. Früher war der Hubschrauber schwarz, der neue sei weiß.
Glock hat aber noch mehr Nachbarn in Deutsch-Wagram, nicht nur einen Friedhof und eine Müllsammelstelle. Im Haus des Vereins „menschen.leben“ wohnen 22 Minderjährige, die unbegleitet aus Syrien oder Afghanistan geflüchtet sind. Sonst findet man hier hauptsächlich Einfamilienhäuser.
Der Tulpen- und der Lilienweg enden am Zaun und der Feuerwehrausfahrt der Firma. In der Viktor-Kaplan-Straße grenzen die Gärten an die Mauer. Hier leben die anderen Nachbarn Glocks.
„Die Glock-Pistole ist ein Schlager für die nächsten 50 Jahre. Die Waffe ist was – da kann man nur staunen“, meint ein in die Jahre gekommener Herr, der für uns an sein Gartentor kommt. Glock hätte Straßen gebaut und der immense Steuerfaktor käme der Gemeinde zugute. Er erzählt, dass sich auf dem Areal ursprünglich eine Zerschrottungfirma ansiedeln wollte und ist immer noch erleichtert über die Planänderung. Schließlich hätte diese mehr Lärm gemacht als die Produktion von hunderttausenden Schusswaffen jährlich. Einmal im Jahr bekommt er etwas mit – das Feuerwerk beim Firmenfest. Doch dann erhalten alle Anrainer einen Brief, sie sollen das Feuerwerk und den damit verbundenen Lärm für diesen Abend doch bitte entschuldigen. Das Feuerwerk sei sowieso ein schönes Trostpflaster.
Eine ältere Dame stellt mit ihrer erwachsenen Tochter gerade ein Stück eines Gartenzaunes auf.
„Wenn ich es nicht wüsste, würde ich mich vielleicht fragen, was sie da heimlich hinter den Mauern produzieren.“ Aber sie weiß es und mehr muss sie auch nicht wissen. Was für andere sonderbar, ist für sie Alltag – gestört fühle sie sich nicht. Allerdings sponsere die Waffenfirma nichts. Weder den Musikverein, noch den Fußballverein. „Ich hätte nicht gehört, dass er hier irgendjemandem Geld zukommen lässt – außer seinen Pferden unten in Kärnten.“
Neben dem Waffenimperium hat Glock auch andere Unternehmen in der Forstwirtschaft, im Energiebereich und in der Gesundheitsforschung. Besonders bekannt ist das Glock Horse Performance Center in Treffen am Ossiacher See. Zahlreiche bekannte Schauspieler und Musiker, wie Hugh Grant und Robbie Williams, werden zweimal jährlich zu Galas in den luxuriösen Reiterhof geladen. Geschäftsführerin ist Gaston Glocks 52 Jahre jüngere Ehefrau Kathrin Glock. Mit ihr ist der Fabrikant seit Juli 2011 verheiratet, die Scheidung von seiner ersten Frau Helga ist seit Juni 2011 rechtsgültig. Helga Glock hält ein Prozent der Glock GmbH. Zwischen den beiden Ex-Eheleuten herrscht immer noch Rosenkrieg, die drei Kinder haben mit der Scheidung und hohen Auszahlungen auf ihr Erbe verzichtet.
Wir gehen auf die andere Straßenseite und klingeln. Ein paar Mal wurden wir schon weggeschickt, diesmal nicht. Ein Mann mittleren Alters kommt an das Gartentor. Natürlich bekomme er Glock mit, das Werk sei ja kaum zu übersehen. Aber Waffen gehören für ihn zur Weltgeschichte. Ein weiterer, älterer Mann kommt aus dem Haus. Auch für ihn ist die Nachbarschaft mit Glock völlig problemlos. Außerdem ist das Feuerwerk immer um seinen Geburtstag herum und für ihn eine ganz persönliche Freude.
Mehrere Anrainer erwähnen, dass sie bei jeder baulichen Veränderung zu einer Verhandlung eingeladen werden. Sogar ein Mann, der erst vor einem Jahr neben die Fabrik gezogen ist. Er ist selbst Besitzer einer Glock 19.
Neben ihm wohnt eine junge Frau, um die 30. Sie steckt erst nur den Kopf durch die Tür. „Man merkt nichts, man sieht nie wen. Man kriegt original nichts mit.“ Ein bisschen seltsam findet sie das schon. Sie wird lockerer und tritt aus dem Türrahmen. Einmal im Monat hört sie den Helikopter. „Sehr anonym“, sagt sie schließlich, „und das soll wohl auch so sein.“
Anonym oder geheimnisvoll – so wird Gaston Glock oft von Medien beschrieben. Interviews gibt der fast 89-jährige Fabrikant keine, auch eine Presseabteilung scheint die Firma nicht zu brauchen. Auf Anfragen wird entweder gar nicht reagiert oder mit Anwälten. Waffen sind in Österreich kein populäres Thema, im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten.
Das Buch „Glock: The rise of America’s gun“ von Paul M. Barrett beschäftigt sich mit dem Phänomen der Glock in den Staaten und der Geschichte hinter der Waffe. Im Februar 1980 soll Gaston Glock eine Unterhaltung zwischen zwei Obersten mitbekommen haben. Die Armee würde neue Waffen brauchen und Gaston Glock, der nach eigenen Angaben bisher wenig bis nichts (die Geschichte hat sich im Laufe der Zeit verändert) mit Waffen zu tun hatte, wollte der Mann dafür sein. Am 19. März 1982 wurden die ersten Testpistolen an die österreichische Armee geliefert. (Quelle: Glock: The rise of America’s gun)
Schon vor seinem Wirken als Waffenproduzent konnte Gaston Glock auf eine dreißigjährige Karriere in der Industrie zurückblicken. Jetzt sind Straßen und Plätz nach ihm benannt. Am Gaston Glock-Platz 1 ist der große Eingang zur Firma, hereingelassen wird man nicht. Gegenüber, in einer kleinen Holzhütte mit Schanigarten, befindet sich die Imbissstube „Zum Bierbrezel“. Draußen stehen einige Männer, der Großteil der Herrschaften hat den 60. Geburtstag bereits hinter sich. Darunter befindet sich Gustav Ewald, ehemaliger Wiener Polizeibeamter, jetzt Gemeinderat und stellvertretender Parteivorsitzender der SPÖ in Deutsch-Wagram. Er erzählt, wie 90 Prozent der österreichischen Polizisten sich 1986 für die Glock 17 entschieden haben und nennt die Waffe „deppensicher“. Er erklärt, dass diese Waffe nicht nur leicht zu bedienen ist, sondern genau dann funktioniert, wann sie soll. Bei einer Waffe sei das unerlässlich. Für ihn gehören sie zur Gesellschaft, die Waffen, er selbst besitzt eine Glock 26. „Kannst du dir vorstellen, es ist Krieg und keiner geht hin?“, zitiert er. „Das schafft der Mensch nicht. Und wenn man Pistolen verbietet, dann wird der Mensch andere Waffen finden.“
Eine andere Waffe fand auch Jacques Pêcheu. Der Franzose versuchte 1999, Gaston Glock mit einem Gummihammer in einer Tiefgarage zu ermorden. Der damals 73-jährige konnte den Angreifer abwehren, erlitt allerdings sieben Kopfwunden und verlor einen Liter Blut. Sein nun ehemaliger Geschäftspartner Charles Ewert (Panama-Charly) steckte nach Angaben Pêcheus hinter dem Anschlag. Beide wurden zu langjähriger Haft verurteilt.
Die anderen Herren in der „Bierbrezel“ sehen Glock vor allem wirtschaftlich sehr positiv, schließlich sind es Arbeitsplätze und Steuern für ihre Gemeinde. Wieder wird das Feuerwerk erwähnt, einer von ihnen ist Hundebesitzer und das Tier tut ihm leid. Keiner der Herren hat eine Waffe. „Ich bin 65 Jahre ohne Waffe ausgekommen, da werde ich die nächsten 15 Jahren auch schaffen.“
Später kommen sechs junge Männer herein, sie verbringen ihre 20-minütige Pause hier. Manche von ihnen tragen Westen oder T-Shirts mit dem Glock-Logo. Ihre Schnitzelsemmeln sind schon fertig als kommen, die Pause ist zu kurz, um sie mit Warten zu verbringen. Wo sie arbeiten ist klar, was sie dort machen, darüber dürfen sie nicht reden. Nicht einmal mit ihren Freundinnen, aber das finden sie eigentlich ganz gut. Nur einer der sechs hat privat eine Waffe. Eine Glock – er hat sie gekauft, nicht mitgehen lassen.
Keiner der jungen Männer kommt aus der Gegend, keiner von ihnen ist ein Nachbar Glocks. Dort ist ihr Arbeitsplatz, ein Teil ihres Lebens. Den Nachbarn geht es anders. Glock ist eben da, aber weit weg von ihrem alltäglichen Leben. Er ist wie jeder andere gute Nachbar: unscheinbar, ruhig und wenn er eine Party macht, gibt er Bescheid.