Wo bleibt Österreichs Waffenopposition?

Hintergründe
von und

Schon vor Jahren löst sich mit Maria Navarro’s Verein „Waffen weg! Der gewaltfreie Weg…“ Österreichs komplette Anti-Waffen-Politik auf. Seitdem ist keine Initiative mehr gegründet worden. Wieso? Eine Bestandsaufnahme.

20. November 1997: In Mauterndorf, Salzburg, verlässt der 36-Jährige Mechaniker Johann G. mit einer Handschusswaffe sein Haus. Wenig später erschießt er seine Nachbarsfamilie, den Vizebürgermeister, den Direktor der Hauptschule und ein junges Paar. Insgesamt sechs Menschen sterben durch seine Hand. Einen Tag später richtet er sich selbst.

Der Amoklauf schlägt hohe Wellen in Österreich. Eine Diskussion über das Waffengesetz entbrennt. Am 2. Dezember 1997 gründet die Rechtsanwältin Maria Navarro den Verein “Waffen weg. Der gewaltfreie Weg…”. Navarro war ein Jahr zuvor selbst Opfer eines Schusswaffenattentats geworden. Das Ziel der Initiative: Weniger Waffen im Privatbesitz. Um das umzusetzen, wäre eine Gesetzesänderung notwendig. Die Forderungen des Vereins werden von SPÖ-PolitikerInnen, aber auch Prominenten wie der Autorin Christine Nöstlinger, der Moderatorin Nora Frey oder dem Karikaturisten Gerhard Haderer unterstützt, der für sie zeichnet.

Zwanzig Jahre später gibt es den Verein nicht mehr. Das Waffengesetz ist im Grunde das Gleiche geblieben. Die Initiative bleibt die einzige in Österreich. Auch im Rest von Europa tut sich wenig bis gar nichts. Trotzdem haben Frau Navarro und ihr Verein etwas erreicht. Der damalige Innenminister Schlögl unterstützt die Forderungen des Vereins und erarbeitet gemeinsam Gesetzesvorschläge. Während seiner Amtszeit erlässt er Verordnungen, die beispielsweise die psychologischen Tests erschweren. Zuvor konnten die Tests endlos wiederholt werden, inzwischen dürfen Anwärter ihn nur noch dreimal absolvieren.

Außerdem setzt sich „Waffen weg!“ jahrelang dafür ein, dass nur noch spezielle Berufsgruppen wie Polizisten oder Soldaten Waffen besitzen dürfen, außerdem Jäger, die eine Jagdprüfung absolviert haben, und Sportschützen im Verein. Voraussetzung für den Besitz soll ein psychologischer Test sein, der regelmäßig wiederholt werden muss, um den Waffenführerschein behalten zu dürfen. Besonders strenge Kontrollen sollen an Langzeitwaffenbesitzern durchgeführt werden.

Der Verein argumentiert, dass die Chance, sich mit einer Schusswaffe erfolgreich verteidigen zu können, sehr gering sei. Faktisch gebe es keinen Fall, bei dem durch Einsatz der Schusswaffe im privaten Bereich ein Leben gerettet wurde: „Wir haben recherchiert, wir haben nichts gefunden. Man findet nur Unfälle, Selbstmorde, Jugendliche und Kinder, die auf die tolle Idee kommen, damit herumzuballern und Familientragödien, aber man findet keine positiven Berichte, in denen eine Waffe einmal wirklich geholfen hätte. Weil ein Einbrecher nimmt mir die Waffe aus der Hand. Ich bin kein so supercooler Killer und ich kann dem nicht einfach punktgenau in die Schulter schießen, dass mir der nichts mehr tun kann. Das läuft so nicht. Das ist ja alles eine Illusion. Die Polizei selber sagt, das Beste, was Sie zu Hause haben können, ist eine gute Alarmanlage und ein Wachhund. Das hilft am meisten laut Statistik, nicht die Waffe“, so Navarro. „Waffen weg!“ appelliert an alle Österreicher und Österreicherinnen, gemeinsam die Waffen niederzulegen und zu ihrem eigenen Schutz auf den individuellen Waffenbesitz zu verzichten.

Einen größeren Einfluss hat die Initiative auf die Bevölkerung. Die Medienberichterstattung stärkt das Bewusstsein der österreichischen Bevölkerung und rückt die Waffenproblematik in das Licht der Öffentlichkeit. Österreichweite Umfragen bestätigen: Der Großteil der Bevölkerung ist gegen den Privatbesitz von Waffen. Die ehemalige Obfrau Navarro meint dazu: “Ich glaube schon, dass der Waffenbesitz durch die Diskussion zurückgegangen ist. Die Leute haben begonnen, die Waffen zurückzugeben und gesagt: Das brauche ich eigentlich nicht. Weil sie sich Gedanken gemacht haben.”

Obwohl es ein Anliegen der Mehrheit ist, wird das Gesetz nicht geändert. Ein Grund sind die Nationalratswahlen 1999. Die schwarz-blaue Regierung unterstützt das neue Gesetz nicht und die Befürworter der SPÖ und Grünen können ihre Forderungen nicht geltend machen. Die Haltung der Parteien gegenüber dem Waffenbesitz ist laut Navarro klassisch verankert. Die Interessen von mächtigen Waffenlobbys, zum Beispiel der Familie Glock, seien tief in den konservativen Parteiprogrammen verwurzelt, mitunter ein Grund, warum das Gesetz scheitert. Etliche Schützen- und Jägervereine und die IWÖ, die „Interessengemeinschaft liberales Waffenrecht in Österreich“, setzen sich ebenso aktiv gegen die Forderungen von “Waffen weg!” ein.

Außerdem, so Navarro, bekämen Anti-Waffen-Initiativen nur dann die nötige Aufmerksamkeit und Unterstützung, wenn ein Amoklauf, Anschlag oder Unfall passiert, wie es derzeit in Amerika der Fall ist. Nach der Schulschießerei in Parkland, Florida ist die #NeverAagin-Bewegung gegen Waffen in aller Munde. Nach einiger Zeit jedoch ebbe das Interesse der Öffentlichkeit wieder ab. Dieses phasenweise Engagement habe nicht ausgereicht, um den Verein „Waffen weg!“ aufrechtzuerhalten. „Wenn keiner was macht, muss man aufhören, ich kann das nicht alles alleine machen.”

Bis heute bleibt “Waffen weg! Der gewaltfreie Weg…” der einzige Verein in Österreich, der sich aktiv gegen das Waffengesetz eingesetzt hat. Auch die Parteien zeigen wenig Initiative. Und so wird sich das Waffengesetz bis zum nächsten großen Vorfall wahrscheinlich wenig ändern.

Frau Navarro im Gespräch.

Maria Navarro-Frischenschlager ist Rechtsanwältin in Linz. 1995 wird sie bei einem Amoklauf in einem Linzer Gerichtssaal schwer verletzt und spricht sich seitdem gegen privaten Waffenbesitz aus: „Ich weiß, was es bedeutet, angeschossen zu werden. Jeder, dem ich das ersparen kann, ist ein großer Meilenstein.“ 1997 macht sie sich als Rechtsanwältin selbstständig. Zur selben Zeit gründet sie den Verein “Waffen weg!” Sie fungiert als Leiterin des Vereins, bis er mangels politischer Unterstützung (und anderer Anti-Waffen-Initiativen) aufgelöst wird.