Zu Besuch bei einem Waffenhändler

Handel
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Markus Schwaiger verkauft Waffen in Wien. Er erzählt von seiner Liebe zur Waffe und seiner Abneigung gegenüber der großteils rechten Waffenszene.

In dem kühlen Kellerraum herrscht angespannte Stille. Die Ruhe vor dem Sturm. Die Beine hüftbreit auseinandergestellt steht er da. Laden. Er lehnt sich nach vorne, ein konzentriertes Pokerface aufgesetzt. Der Blick ist gerade über den Lauf gerichtet. Zielen. Ein letzter Atemzug. Ein ohrenbetäubender Knall. Schießen. Es wirkt fast, als wäre nichts passiert. Die einzigen Veränderungen sind das millimeterdicke Einschussloch, das den Kopf des Zielscheiben-„Papierbanditens“ ziert und das breite Grinsen, das sich auf dem ehemaligen Pokerface breit gemacht hat.

Laden, zielen, schießen: Für Markus Schwaiger ist das Alltag. Er ist Waffenhändler mit eigenem Ausbildungsschießkeller. Bei ihm können Menschen nicht nur Waffen kaufen, sondern auch eine komplette Ausbildung zur Waffenbesitzkarte absolvieren. Sonderlich schwer ist das laut Schwaiger nicht.

Zuerst müssen Bewerber einem Vortrag über den Gebrauch und die Funktion von Waffen zuhören. Konsequenzen, wenn jemand nicht aufmerksam zuhört, gibt es keine. Eine abschließende Prüfung ebenso nicht. Anschließend muss der Kunde im Schießkeller fünf Schüsse abgeben. „Dabei ist es egal wohin die genau gehen. Hauptsache in eine ungefähre Richtung“, erklärt Schwaiger.

Im Geschäft des Waffenhändlers und Privatdetektivs gilt das Waffengesetz nicht. Vor Kurzem konnte hier auch ein 15-jähriges Mädchen mit ihrer Mutter schießen üben.

Waffenhandel als Nebensache

Das Waffengeschäft ist eigentlich nur Mittel zum Zweck. Denn neben dem Handel mit Waffen ist Markus Schwaiger als Privatdetektiv tätig und bildet solche auch aus. Wenn er junge Detektive ohne Waffenbesitzkarte schult, darf er ihnen aber keine Waffe in die Hand geben, auch nicht zu Ausbildungszwecken. Die Lösung für das Problem? Einen Waffenhandel aufmachen. Denn auf diesen Quadratmetern des Hauses gilt das Waffengesetz nicht. „Wenn jemand seinem 12-jährigen Sohn Schießen beibringen will, dürfte er das hier machen“, so Schwaiger.

Das erste Mal eine Waffe abgefeuert hat er selbst bereits mit zwölf Jahren, zuerst nur Luftwaffen, dann Kleinkaliberwaffen. Damals waren Kleinkaliber noch nicht einmal als Waffen eingestuft. Die Liebe zu Waffen hat er wohl vom Großvater, der war Militarist. Ganz anders seine Eltern: Sein Vater ist Wehrdienstverweigerer und seine Mutter Pazifistin. Schwaigers Begeisterung für Waffen konnte das niemals mindern.

 

Es kommt doch auf die Größe an

Der Raum, in dem Schwaiger normalerweise die Schulungen hält, ist fast wie ein Klassenzimmer eingerichtet. Vorne steht ein Flipboard, auf dem ein paar Wörter stehen. Der letzte Kurs ist nicht allzu lange her. Richtung Tafel sind mehrere Reihen Tische und Sessel aufgestellt. Nur einen Raum weiter stapeln sich Waffen in mehreren Regalen bis zur Decke.

Auf die Frage welche Waffe er als Detektiv bei sich trägt, lacht er. „Ich als Detektiv oder irgendwer als Detektiv?“, entgegnet er. „Neun von zehn haben eine Glock 43. Ich habe die Glock 1911.“ Der Unterschied? Die Glock 1911 ist wesentlich größer als die 43er. Im Gegensatz zur „Detektiven-Standardwaffe“ ist das Loch 19mm breit und beim Spannen des Abzugs ist ein lautes warnendes „Klack“ zu hören. Schwaiger musste in seiner Tätigkeit als Privatdetektiv erst fünf Mal die Waffe herzeigen. Er weiß, dass der Anblick einer so großen Waffe deeskalierend wirkt. „Wenn du in den fetten Lauf so einer Waffe schaust und dann auch noch das Klack hörst – so stoned kannst du nicht sein – also da musst du ein echter Volltrottel sein, wenn du dann keine Ruhe gibst.“ Auf jemanden schießen musste Schwaiger noch nie.

Nicht wie im Kino

Ganz so actionreich wie in Hollywood geht es für einen Detektiv also nicht zu. Generell vermittle die Filmbranche ein falsches Bild von Waffen. Schussszenen, in denen sich die Akteure noch in letzter Sekunde hinter einer Autotür retten? Laut Schwaiger ein Mythos: „Vergiss es! Wir haben das schon oft probiert. Das einzige Mal, dass ich wo nicht durch die Autotür durchgekommen bin, das war ein Volvo Baujahr 72. Wir haben ihn dann auch zerlegt – da ist nichts durchgekommen. Da waren millimeterdicke und große Stahlzahnräder drinnen, die wirklich alles aufgehalten haben.“ Moderne Autos seien durch die leichten Metalle, die bei der Herstellung verwendet werden, Schusswaffen nicht gewachsen.

Auch die Vorstellung, dass große Waffen einen stärkeren Rückstoß als kleinere haben, ist ein weit verbreiteter Irrtum. „Das meiste vom Rückstoß einer Waffe nimmt das Gewicht der Waffe selbst. Die Größe hat weniger Rückstoß, weil sie mehr Gewicht hat.“

Ohne Tatwaffe kein Täter

Auch die Forensiker haben es auf der Leinwand leichter. Oft wird nur anhand eines einzigen Projektils der Täter gefunden. In der Realität ist das nicht so einfach. Projektile sind, außer bei Schrotflinten, dicker als der Lauf der Waffe. Beim Abfeuern einer Waffe wird es mit enormen Druck herausgepresst. Durch Züge und Federn, die sich innerhalb des Laufs befinden, wird ein charakteristisches Profil hinterlassen. Damit kann jedoch gerade mal der Hersteller oder die Waffenart ermittelt werden.  Nur mit einem Vergleichsprojektil – also einem Projektil aus derselben Waffe – kann man den Schuss letztendlich der Waffe zuordnen.

Waffenhandel im Wandel

Markus Schwaiger weiß, wie sich die Standards im Waffenhandel zu den heutigen unterscheiden. Aufgrund einer Gesetzesänderung in den 90ern ging der Waffenhandel sukzessive zurück Diese erschwerte den Kauf an sich jedoch nicht, sie machte ihn nur teurer: Zum psychologischen Test (284 Euro) kam 1996 verpflichtend der Waffenführerschein (65 Euro) hinzu: „Das muss man erstmal alles hinlegen.“ Die Waffen selbst kosten heute nicht mehr, der Einstieg wurde nur teurer und mühsamer. Viele Waffenhändler mussten infolgedessen ihre Geschäfte zusperren.

Das Geld war aber nicht der einzige Grund: Das klassische Bedrohungsbild war fast nicht mehr existent; es passierte schlicht und ergreifend nichts. „Wozu braucht man heute noch eine Waffe? Die letzten großen Terror-Anschläge in Wien gab es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Da hat es einem passieren können, dass die Straßen gesperrt und Panzer aufgestellt wurden, weil Verdächtige gesucht wurden. Autos und Personen wurden gefilzt, alles unter vorgehaltener Maschinenpistole“, erinnert sich Schwaiger.

Er selbst ist militärisch mit den letzten Ausläufen der RAF aufgewachsen. So etwas kennt man heute fast nicht mehr, meint er; seit den 90ern sei der Terrorismus in Österreich im Prinzip nicht mehr existent. Die Österreicher haben also eigentlich keinen Grund mehr, Waffen zu kaufen.  Zumindest bis zum Jahr 2015.

Das Einzige, was hier nicht verkauft werden darf, sind vollautomatische Waffen und panzerbrechende Munition – die dürfen ausschließlich im Militärbereich verwendet werden.

Waffenboom

Bis Mitte 2015 hatte Schwaiger um die zehn Anwärter auf einen Waffenschein im Monat. Im November/Dezember des Jahres waren es pro Monat 200 bis 300. Der Boom hielt knapp fünf Monate an.

Schwaiger nennt drei Ursachen dafür:

1.) In diesem Jahr kamen zahlreiche Flüchtlinge nach Österreich.
2.) Gleichzeitig häuften sich die Anschläge in Europa. Somit verschärfte sich die Politik und die Wahlwerbung der FPÖ trug Wirkung. Menschen hatten Angst und griffen zur Waffe.
3.) Zudem wollte die österreichische Regierung die Waffengesetze wieder verschärfen – aus Schwaigers Sicht der stärkste Auslöser für den Waffenboom. Die Angst davor, der Waffenverkauf könnte strenger, teurer oder gar verboten werden, bewegte viele zu einem raschen Kauf.

Viele seiner Kunden waren zu dieser Zeit vom Typ ‚Ich-fürchte-mich-vor-den-bösen-Flüchtlingen‘, erzählt Schwaiger. Diese kaufen zwar Waffen, die sie aber nie benutzen. Die gekauften ‚Schrankwaffen‘ blieben anschließend in Kleiderschränken liegen und dienen nur als ‚Absicherung‘.

Wenn jedoch Personen in Schwaigers Geschäft kommen und die Furcht vor Flüchtlingen als klaren Grund für den Erwerb einer Waffe angeben, empfehle er ihnen im Normalfall, dringend das nächste Gespräch beim Psychologen.

Schießsport statt deutscher Schäferhund

Die Waffenbranche ist nicht gerade links eingestellt, das ist Markus Schwaiger bewusst. Er selbst distanziert sich jedoch von der rechten Szene.  „Ich würde mich nicht als ‚Linker‘ bezeichnen, unter den Waffenhändlern bin ich aber vermutlich linksextrem“, scherzt er.

So lautet auch sein Motto für sein Geschäft: „Der Erste, der reinkommt und mir erklärt, wie hoch sein deutscher Schäferhund springt, der fliegt hochkant raus – das soll eine saubere, neutrale und technisch-orientierte Schießstätte sein.“

Schwaiger stellt aber auch klar, dass nicht jeder, der mit Waffen zu tun hat, ein Nazi ist und umgekehrt. Diese beiden Bereiche haben eine gewisse Überlappung. Genau diese Überlappung ist es, was den meisten Menschen die Lust am Schießsport nimmt. „Das ist ein ganz normaler Sport um Himmels Willen. Das macht Spaß“, sagt Schwaiger.

Die Sicherheitskameras zeigen den Schießkeller im Westen Wiens im Ausbau. „Wir haben den starken Schulungsschwerpunkt. Die größeren Waffenhändler haben viel mehr an Schusswaffen als wir. 50 bis 60 Gewehre, 20 Pistolen, 30 Revolver – dafür interessieren sie sich wiederum nicht für die Schulung. Deswegen ist der Anteil an Kunden, die Waffenschulungen machen, bei uns deutlich höher als die der Waffenkäufer.“

Der Kritiker im Fadenkreuz

Trotzdem ist er nicht begeistert vom österreichischen Waffengesetz. Gewehre seien viel zu leicht zu erwerben. Für ihn ließe sich die gesamte Waffenproblematik inklusive des Waffenmarkts verbessern, wenn eine theoretische und praktische Prüfung für den Waffenschein eingeführt werden würde. Dabei ist die Schweiz das große Vorbild. Dort muss entweder nachgewiesen werden, dass beim Militär eine entsprechende Ausbildung absolviert wurde oder es muss eine Prüfung abgelegt werden. Die Schweizer Prüfung ist eine der schwersten weltweit.

„Anstatt alle fünf Jahre fünf Schüsse abzugeben, soll eine harte Prüfung eingeführt werden. Denn genau so kann die Zahl der Waffenbesitzer reduziert werden“, meint Schwaiger. „Ich mach mich nicht beliebt mit der Aussage – die ganzen Waffenhändler fragen ‚Habens da ins Hirn geschissen?‘ Ich hab auch schon Morddrohungen bekommen.“

Beeindrucken lässt er sich davon nicht. Er setzt sich weiter dafür ein, dass eine Waffenbesitzkarte genauso gehandhabt wird, wie ein Führerschein. Schließlich sei eine Waffe mindestens so gefährlich, wie ein Auto.